kulturtipp: Michael Bühler, Sie sind seit 2008 beim ZKO. Mit der Verpflichtung von Daniel Hope als Musikdirektor sind Ihre Ideen, was ein Orchester sein kann, so richtig ins Rollen gekommen.
Michael Bühler: Ja, ganz bestimmt. Als Gesamtpaket passt Daniel Hope zu 100 Prozent zum ZKO: Da ist eine grosse Nähe zum Publikum zu spüren, er ist äusserst kommunikativ und spielt auf höchstem Niveau. Inhaltlich und qualitativ passen wir bestens zusammen.
Man tourt viel mehr, man macht CDs, man ist in Zürich wieder ein Thema, die Auslastung ist gut … Haben Sie geahnt, was mit Hope passieren würde?
Für mich gab es zwei Schlüsselmomente in den letzten zehn Jahren: Als Sir Roger Norrington bei uns anfing, fand ein qualitativer Richtungswechsel statt. Erst machten wir ja einen Workshop, um zu sehen, ob er zum Orchester passe. Als ich am zweiten Tag runter in den Konzertsaal ging, war ich baff: Ich erkannte zwar immer das Riesenpotenzial im Orchester, hätte aber nie gedacht, dass dieses in so kurzer Zeit zu Tage gefördert werden könnte. Und bei Daniel passierte etwas Ähnliches insofern, als alle unsere kleinen Bemühungen zu greifen begannen: Familien-Konzerte, Crossover-Projekte, Aufbau neuer Kommunikationswege, neue Konzertthemen, Kooperationen, Mottos und mehr. Dank vereinten Kräften dreht die Spirale nun extrem schnell nach oben. Der Wechsel kam im richtigen Moment: Hope ist die Gallionsfigur des ZKO.
Hope erhöhte die Aktivität enorm. Für manche Musiker im Orchester zu sehr.
Vor allem die Tourneetätigkeit hat mit Daniel Hope stark zugenommen und wurde teilweise zu einer Belastung: Junge Mütter kamen zu mir und fragten, wie sie zweieinhalb Wochen nach Asien gehen sollten, da sie doch am Stillen seien. Um die Präsenz des ZKO zu verstärken, habe ich bewusst fast jedes Angebot angenommen. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir über 150 Konzerte im Jahr spielen. Das ist für einen so kleinen, bescheidenen Verwaltungsapparat enorm viel. Wir sind an einer Grenze angelangt, und die Maschinen laufen im roten Bereich. Nun können wir aber auch selektionieren und nur jene Angebote und Engagements annehmen, die uns weiterbringen.
Also Geld oder Prestige.
Ja, aus heutiger Sicht, aber vor drei, vier Jahren war das noch nicht so. Vor sieben Jahren überlegten wir uns eine neue Ausrichtung, fragten: Was ist unsere Vision? Was wollen wir sein? Ein Schlagwort war: «Das ZKO ist eines der führenden Kammerorchester der Welt.» Verbunden damit war aber eine internationale Tätigkeit unumgänglich. Mein Auftrag war es, das umzusetzen. Nachdem dieser Schritt geschafft ist, kommen nun neue Herausforderungen. Ein fester Klangkörper ist die zentrale Grundlage für uns, ein wechselnder Musiker-Pool stimmt für mich aus qualitativen Gründen nicht. Aber eben: Wir haben Eltern und ältere Musiker im Orchester, denen gegenüber wir eine soziale Verantwortung haben. Auf den langen Tourneen heisst es daher: Will oder kann eine Mutter nicht mitkommen, ziehen wir dafür mal einzelne Musiker aus dem Tonhalle-Orchester hinzu.
Wird sich der Typ «ZKO-Musiker» der neuen Ausrichtung anpassen müssen?
Wahrscheinlich schon, aber das musste er bisher auch. Wenn es unterwegs gilt, einen Kontrabass zu tragen, dann hilft da jeder. Wir sind ein Team, und wenn da einer ist, der nicht reinpasst und unsere Kultur nicht lebt, dann geht es nicht. Es ist ein heikles Gleichgewicht, das es gilt aufrechtzuerhalten. Da muss man gut schauen, wer hineinpasst.
Jeder fällt auf – oder ab.
Als ich den Wechsel vom Opernhaus zum ZKO machte, dachte ich: «Nachdem ich 140 Musiker verwaltet habe, können 28 nicht so schlimm sein. Aber es ist viel intensiver! Die Seele des Orchesters teilt sich nur noch durch 28, jeder Einzelne ist viel wichtiger: Im Sinfonieorchester hat es immer solche, die im Stuhl lehnen, das kann sich im ZKO niemand erlauben.
Neben Aushängeschild Daniel Hope spielt Ihr Konzertmeister Willi Zimmermann eine entscheidende, aber auch schwierige Rolle. Welche?
Wir haben ein Drei-Säulen-Prinzip: Konzerte unter der Leitung von Daniel Hope, dem Music Director. Konzerte mit Dirigenten, unter anderem mit Ehrendirigent Sir Roger Norrington, und solche unter der Leitung von Willi Zimmermann. Zimmermann muss extrem flexibel sein und sich auf verschiedene Situationen einstellen. Wenn Sir Roger Norrington da ist, ist der Raum daneben klein, da ist Zimmermann der Konzertmeister, auch wenn ein Dialog zwischen beiden besteht. Wenn etwa ein Konzert mit Pianistin Gabriela Montero stattfindet, hat er eine völlig andere Aufgabe, dann ist er der Orchesterchef. Und kommt Hope, ist die Situation wieder anders. Diese beiden Herren mussten sich erst finden. Zimmermann steht für die Kontinuität – auch die klangliche.
Falls es 2020 die Maag und die Tonhalle gäbe: Wo spielt das ZKO?
Zur Tonhalle und zur Maag muss ich etwas Grundsätzliches sagen: Wir haben in Zürich jetzt schon Schwierigkeiten, einen so grossen Saal zu füllen. Daher bräuchte es nicht zwei gleich grosse Säle, sondern einen zweiten, kleineren für 800 Leute. Für mich sind Maag und Tonhalle zu ähnlich.
Wo würde sich das ZKO bei so einer Aufteilung mehr sehen?
In beiden. Das bestehende Zürichberg-Publikum, ohne Wertung so genannt, fühlt sich eher in der Tonhalle zu Hause, ein jüngeres Publikum hingegen eher in der Maag. Aber die Frage ist: Wird das Konzert in der Tonhalle inhaltlich anders sein? Oder das Format?
Konzerte
Di, 22.1., 19.30 Schauspielhaus Zürich (mit Pianist Martin Helmchen)
Sa, 26.1., 19.30 Kursaal Bern (mit Cellist Sheku Kanneh-Mason)
Do, 31.1., 19.30 Kirche St. Peter Zürich (mit Countertenor Andreas Scholl)
TV
Daniel Hope – Der Klang des Lebens
So, 27.1., 23.20 Arte
ZKO-CDs
Daniel Hope
Journey To Mozart
(DG 2018)
Daniel Hope
For Seasons
(DG 2017)
Sebastian Knauer
Bach & Sons
(Berlin Classics 2017)
Michael Bühler
Michael Bühler, seit 2008 Direktor des Zürcher Kammerorchesters (ZKO), absolvierte nach einer Banklehre ein Musikstudium (Hauptfach Klarinette) an den Hochschulen der Künste in Bern und Berlin. Er arbeitete zwei Jahre im Management des Schweizerischen Jugend-Sinfonie-Orchesters, bevor er Orchesterdirektor des Opernhauses Zürich wurde und später Geschäftsleiter der Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb. Bühler ist Präsi-dent von Jeunesses Musicales Suisse und Inhaber einer Berufs- sowie Helikopterpiloten-Lizenz.