Die 31-jährige Essayistin Ester verfällt dem Liebeswahn, bevor sie den Angebeteten überhaupt gesehen hat. Während sie einen Vortrag über den älteren Künstler Hugo Rask vorbereitet, entwickeln sich ihre Gefühle von der «Wertschätzung» bis zum «schweren Begehren». Und als sie ihm in Fleisch und Blut gegenübersteht, ist es um sie geschehen: Ihre Rationalität, ihr kritischer Geist lösen sich in Luft auf. Fortan dreht sich ihr Leben darum, Hugos Begehren zu entfachen. Dieser fühlt sich geschmeichelt und lässt sich gar auf eine kurze Affäre ein. Dass er aber nicht ernsthaft interessiert ist, merken die Leser ebenso schnell wie der «Freundinnen-Chor», der einstimmig vor dem Mann warnt – Ester hingegen ist liebesblind.

Sie schwankt zwischen Hoffnung, Verzweiflung und Selbstbetrug, jedes kleinste Lebenszeichen von Hugo deutet sie als Liebesbeweis, massloses Begehren und unerträgliches Warten auf eine Antwort füllen ihre Tage aus. Und nach einer mehr oder weniger deutlichen Abfuhr beginnt der Teufelskreis von vorne, bis sie im Umgang mit Hugo jeglichen Stolz verliert, sich ihre Liebe zur Obsession entwickelt.

Mit ironischer Distanz berichtet die preisgekrönte schwedische Autorin Lena Andersson von der Liebesblindheit ihrer Protagonistin, zeichnet Hugo als charismatischen, aber selbstgefälligen Künstler. Andersson geht in ihrer klarsichtigen Analyse ans Eingemachte, an die Schmerzgrenze: Das Wesen der Liebe und insbesondere jede Seelenregung der unerwiderten Liebe seziert sie derart präzise, dass sich mancher darin wiedererkennen wird – sei es auf der einen oder anderen Seite.

Lena Andersson
«Widerrechtliche Inbesitznahme»
224 Seiten
(Luchterhand 2015).