New York 1898, Trommelvibrato, ein aufgeregtes Klavier, ein dröhnendes Schiffshorn: Am Hafen wuselt es. «Männer und Frauen quetschen sich durch die nach Dung stinkenden hölzernen Tunnel des Fährhauses. Dicht an dicht. Wie Äpfel, die durch den Trichter in die Mostpresse gedrückt werden.» Runter vom Schiff in die städtische «Mostpresse» drückt sich auch ein junger Mann vom Land – mittenrein: «Zum Broadway, ich will direkt dahin, wo was los ist.»

Das Hörspiel «Manhattan Transfer» nach dem gleichnamigen Roman von John Dos Passos (1886–1970) taucht ein ins moderne Grossstadtleben des beginnenden 20. Jahrhunderts. Zahlreiche Charaktere werden kurz beleuchtet – und vom Getümmel gleich wieder verschluckt. Wenige tauchen nochmals auf. Im Zentrum steht die Metropole selbst: Unzählige Reize und Begegnungen überfordern den Grossstädter und entfremden ihn von seinen Mitmenschen. Übrig bleibt Blasiertheit. Oder Verzweiflung.
 
Das «Kameraauge»

Neben dem heute aktuellen Inhalt überzeugt Dos Passos stilistisch: Durch treffende Details, Schnitte und Perspektivenwechsel dreht er mit Worten Filme und wurde dafür auch das «Kameraauge» genannt. Umso besser eignet sich der Stoff für ein Hörspiel. Besonders in der zeitgemässen Neuübersetzung von Dirk van Gunsteren. Unter der Regie von Leonhard Koppelmann erwecken unzählige Stimmen und Musik die Metropole New York der Jahre vor und nach dem Ersten Weltkrieg zum Leben. Ein furioses Hörerlebnis.     

Radio SWR 2
Manhattan Transfer 
Von John Dos Passos 
Regie: Leonhard Koppelmann
1/3: So, 22.5.; 2/3: Do, 26.5.; 3/3: So, 29.5., jeweils 18.20