Bei allem Staunen und Bewundern. Immer wieder drängt sich ein «Aber» auf. Einspruch, Nachhaken – zu schön ist diese Welt. Zu schön das Bild vom alten Geiger, der im Säli aus seinen jungen Schülerinnen und Schülern weltberühmte Künstler formt.
Der Meister, der zur Mittagspause Älplermagronen mit Apfelmus isst, heisst Zakhar Bron, ist eine Pädagogenlegende und darf sich «ehemaliger Lehrer von heute weltberühmten Geigern» nennen. Für einen Besonnenen unter ihnen, für Daniel Hope, ist Bron schlicht ein Genie.
Die aktuellen Schüler sind No-Names. Vom Ruhm Amir Bisengalievs, Elena Kawazus oder der Zürcherin Elea Nick wissen bisher nur ihre Eltern. Die 1999 geborene Jungstudentin Elea Nick ist die Schweizer Geigenhoffnung. Sie will an die Spitze.
«Heute ist alles perfekt», sagt Eleas Mutter zu Zakhar Bron bei Lektionsbeginn – und alsbald zerpflückt der Meister das Spiel der Tochter. Alle kennen das Ritual bestens, dennoch sind Tränen fester Bestandteil der Lehrstunden. Einstecken, so lernen wir, ist eine Geiger-Disziplin. In den drei Lektionen nach Elea Nick hören wir Bemerkungen von Bron, nach denen wir selbst nie mehr eine Geige berühren würden. Die Teenies nehmen die Kritik entgegen. Elea sagt nach der Lektion nüchtern: «Wenn er sagt, alles sei gut, wars keine gute Stunde. Ich bereue es gar nicht, zu ihm gekommen zu sein.»
Ziel ist Individualität
«Wie wichtig ist Strenge, Professor Bron?» – «Ich muss zielgerecht streng sein, ich will nun mal das Höchste entdecken: die Individualität. Mein Professionalismus kennt auf diesem Weg keine Kompromisse. Wenn ein Geiger an mich glaubt, wenn er ein Resultat sieht, dann erträgt er die Strenge.»
Erst lässt der Professor in der Meisterkursstunde die Schüler ihr Stück ganz durchspielen. Glaubt einer, Bron beobachte dabei bloss die vor dem Fenster tanzende Kohlmeise, irrt er sich gewaltig. Später bei der Detailbetrachtung kommt jede Klangtrübung schonungslos aufs Tapet. Seine erste Bemerkung reicht vom vernichtenden «Hm, okay» bis zum kaum viel mehr aufbauenden «Nicht schlecht» oder immerhin zu einem «Besser als letztes Mal». Ein «Viele Fortschritte, aber noch grosse Möglichkeiten» tönt wohl nur für den Gasthörer positiv. Bron legt die Finger auf die Wunden. «Mit dieser Note, mit dem einen Ton, machst du alles vorher Gespielte kaputt», sagt er und fügt leise an: «Von vorn.»
Mit Druck zum Ziel
Besonders heftig kritisiert Bron einen jungen Aserbaidschaner, auf Russisch fällt ihm das offenbar leichter. Am Mittagstisch sagt Bron gelassen, dass es bei diesem Geiger nur so weitergehe. Mit anderen verfahre er ganz anders. Ist Bron auch ein Psychologe? Eine Mutter meint, dass bei ihm Psychologie Druck sei, ein typisch russisches Streben nach oben.
Am Nachmittag spielt Bron einer Schülerin in seinem unvergleichlichen Ton eine Passage vor: «Nicht kopieren – aber der Idee nach», mahnt er. Klar ist: seiner Idee nach. «Er hat sein Konzept. Hier werden Bron–Klone ausgebildet», erzählt eine Mutter. Ob jemand 5 oder 15 Jahre alt sei, spiele keine Rolle. «Er arbeitet mit allen gleich.»
Die Worte unterstreichen, was der berühmteste Bron-Schüler der Welt, Maxim Vengerov, im Mai sagte: «Zakhar Bron gab mir in Lübeck deutlich seine Art zu spielen weiter. Ich hatte zu machen, wie er es wollte.» Allerdings liess sich Vengerov dadurch nicht unter Druck setzen, sondern fühlte, wie er stärker wurde. «Aber manchmal war es nicht einfach, weil er mich in eine einzige Richtung lenken wollte, und manchmal fragte ich: Warum kann ich das nicht auf meine Art spielen?!»
Russische Technik
Von anderen Lehrern musste sich Bron immer wieder sagen lassen, er lehre keine Musik, sondern nur russische Technik. Bron entgegnet, dass man das nicht trennen könne: «Es gibt nur beides zusammen! Einen schönen Ton hervorzubringen, verlangt viel Technik.» Und Hans-Peter Bauer, Präsident der Zakhar Bron Foundation, verweist beim Einwand, Bron vermittle eine alte Schule, ein altes Geigenspiel, auf die Erfolge der Schüler: «Zakhar Bron gewinnt mit seinen Schülern bis heute am meisten Preise an internationalen Wettbewerben. In den Jurys sitzen die wichtigsten Vertreter der Violinwelt von heute. Vor diesem Hintergrund ist ‹altes Geigenspiel›, wenn es das ist, topaktuell.»
Weg nach ganz oben
Aber wie sagte uns doch der 60-jährige Meisterpianist András Schiff: «Meinen guten Schülern rate ich von Wettbewerben ab, weil es heute andere Möglichkeiten gibt, weiterzukommen. Ganz oben ist immer Platz für gute Musiker.» Aber ganz nach oben schafften es auch einige Geiger, die das Evangelium des Zakhar Bron verinnerlicht hatten.
Zakhar Bron Academy Interlaken
Zakhar Bron wurde 1947 in Uralsk (heute Kasachstan) geboren. Er lernte das Geigenspiel in Odessa, studierte in Moskau und war als Geiger tätig, bevor er an Konservatorien in Nowosibirsk, Lübeck, London und Madrid unterrichtete. Seit 1997 ist er Professor an
der Hochschule für Musik Köln sowie an der Zürcher Hochschule der Künste.
In Zukunft widmet er sich
seinen Meisterkursen der
Zakhar Bron Academy in Interlaken (www.zakharbronchamber.com). Beim Interlaken Classics werden der Meister selbst, seine Schüler sowie sein Zakhar-Bron-Festival-Orchestra
auftreten. (bez)
Interlaken Classics
Sa, 29.3.–Di, 22.4.
CDs
Zakhar Bron Chamber (Schüler)
Impressions (Ars 2013).
Saint-Saëns u.a.: Zakhar Bron (Mara Records 2011).
Szymanowski: 1. Violinkonzert u.v.m.
(AC classics 1999).