Professionell gesehen ist Naharin, Jahrgang 1952, ein Spätberufener. Erst nach dem Militärdienst, mit 22, meldet ihn seine Mutter zur Ausbildung bei der Batsheva Dance Company in Israel an. Dank einer glücklichen Fügung findet er sich bereits sechs Monate später in New York wieder. Von 1980 bis 1990 leitet er dort die international erfolgreiche eigene Company, die er zusammen mit seiner Frau Mari Kajiwara gegründet hat und die seinen Namen trägt. Dann die Berufung als Leiter der Batsheva Dance Company. Naharin nimmt das Angebot an, nicht, weil er in erster Linie die Company leiten wollte, sondern, weil er «zurück nach Israel, nach Hause konnte».

Naharins Renommee wächst schnell, in Israel und weltweit. Sein politisches Denken verliert er als Künstler nicht. Als im Jahr 1998, nach der Generalprobe zum Stück für das 50-Jahre-Jubiläum des Staates Israel, fundamentalistische Juden Zensur ausüben wollen, bleibt er standhaft. Auch wenn er bei allerhöchster Regierungsstelle einbestellt wird.

Bewegungssprache

Und Naharin findet auch heute noch deutliche Worte. Wieso er seine jüngste Arbeit von 2015 «Last Work» nenne? «Weil es vielleicht meine letzte Choreografie ist.» Es falle ihm zusehends schwer, in seiner geliebten Heimat künstlerisch zu arbeiten «in einem Land voller Rassisten, Rüpel, Ignoranz, Machtmissbrauch, Fanatiker».

«Mr. Gaga»: Diesen Name erhielt Naharin wegen der von ihm erfundenen gleichnamigen Bewegungssprache, «bei der wir auf unseren Körper hören müssen, bevor wir ihm sagen, was er zu tun hat». Und «Gaga» heisst sie, weil es laut seiner Mutter sein erstes gesprochenes Wort war. Eine Tanzart, die Menschen befähigt, «über unsere Grenzen hinauszugehen», die Gegensätze wie Kraft und Feingefühl vereint. Es ist nicht nur eine hochprofessionelle Praxis, sondern Tanzen für jedermann. Dies zeigen die Szenen der «offenen Klassen» mit buntgemischter Teilnehmerschar: Talentierte, Untalentierte, Mütter mit Kleinkindern, Behinderte. Naharin glaubt an die heilende Kraft des Tanzes, die auch Trost spendet.

Mr. Gaga
Regie: Tomer Heymann
Ab Do, 15.9., im Kino