Der avantgardistische Kriegsheld
Der deutsche Expressionist August Macke war ein künstlerischer Erneuerer. Und dennoch blieb er den gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit verpflichtet. Eine Ausstellung im Thuner Kunstmuseum erinnert an seine Schweizer Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg.
Inhalt
Kulturtipp 11/2013
Rolf Hürzeler
Etwa so kann man sich bürgerliche Alltagsidylle zu Beginn des letzten Jahrhunderts vorstellen: Schick gekleidete Flaneure promenieren in einer Stadt. Sie bewundern die Versuchungen der neuen Konsumgesellschaft in verführerischen Auslagen moderner Geschäfte. Das Bild «Modegeschäft im Laubengang» (1913; siehe unten) ist ein kennzeichnendes Werk für den deutschen Maler August Macke (1887–1914). Er lebte damals mit seiner Familie am Thunersee. Und er ver...
Etwa so kann man sich bürgerliche Alltagsidylle zu Beginn des letzten Jahrhunderts vorstellen: Schick gekleidete Flaneure promenieren in einer Stadt. Sie bewundern die Versuchungen der neuen Konsumgesellschaft in verführerischen Auslagen moderner Geschäfte. Das Bild «Modegeschäft im Laubengang» (1913; siehe unten) ist ein kennzeichnendes Werk für den deutschen Maler August Macke (1887–1914). Er lebte damals mit seiner Familie am Thunersee. Und er verschrieb sich dort wie ein Besessener der Kunst, als ob er ahnte, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hatte. Das Kunstmuseum Thun zeigt nun 90 Werke von August Macke, daneben sind zahlreiche Zeitdokumente zu entdecken.
Menschen unterwegs
«Passanten, immer wieder Passanten treten auf, wechselnde Gruppierungen, in einer von Menschen gestalteten Natur, im Park oder auf der Uferpromenade. Dazu verweilende Betrachter in urbaner Umgebung …», schreibt die deutsche Macke-Kennerin Ursula Heiderich in einem Essay zur Thuner Ausstellung. «Wie stets bei Macke ging sein persönliches Erleben in die Darstellung ein.» Er skizzierte seine Eindrücke, setzte sie später in Aquarelle um und verlieh ihnen schliesslich in seinen kräftigen Farben die endgültige Form der Bilder.
August Macke wuchs im kleinbürgerlichen Milieu des deutschen Rheinlands auf. Er verliess die Mittelschule in Bonn frühzeitig, um sich als 17-jähriger an der Düsseldorfer Kunstakademie einzuschreiben. Schon nach zwei Jahren rebellierte er gegen das dort vorherrschende, traditionelle Kunstverständnis und quittierte die Institution 1907. In jener Zeit lernte er seine ziemlich wohlhabende Frau Elisabeth kennen; sie und ihre Familie ermöglichten ihm materielle Sicherheit. Elisabeth, eine geborene Gerhardt, gilt als die meist gemalte Frau des deutschen Expressionismus.
Als 20-Jähriger wohnte Macke eine Weile bei seiner älteren Schwester im noch heute abgeschiedenen deutschen Kandern, etwas nördlich von Lörrach. Macke besuchte von dort regelmässig das Basler Kunstmuseum. Ein Jahr später meldete er sich als «Einjährig Freiwilliger» zu einer militärischen Ausbildung. Diese ungewöhnliche Entscheidung eines Künstlers für den damals üblichen Kasernendrill ist aus heutiger Sicht schwer zu verstehen. Zumal explizite politische Äusserungen von Macke nicht überliefert sind.
Der Engagierte
Der junge Mann war bereits weit in Europa umhergereist; der vorherrschende Patriotismus dürfte ihm somit kaum entsprochen haben. Macke verschrieb sich indes nie der Bohème. So fühlte er sich etwa in der Gesellschaft seiner fortschrittlichen Künstlerfreunde wenig aufgehoben: Die damalige Avantgarde stand ihm mehr künstlerisch nahe als gesellschaftlich. Das hinderte ihn allerdings nicht, sich zeitweise intensiv zu engagieren, wie die Kuratorin der Thuner Ausstellung, Ina Ewers-Schultz, schreibt: «Als einer der wichtigsten Promotoren avantgardistischer Kunst vor dem Ersten Weltkrieg lancierte er die neue Kunst vor allem im Rheinland, war an der Entstehung des Almanachs ‹Der Blaue Reiter› in München beteiligt, ebenso massgeblich am Zustandekommen epochaler Ausstellungsereignisse wie der Sonderbundausstellung 1912 in Köln.» Und all das als 25-jähriger Mann.
Auf Harmonie bedacht
Macke suchte mit seiner Familie die bürgerliche Idylle. Denn er war in seinem Wesen ein auf Harmonie bedachter Gestalter. Dieser Charakterzug mag dazu beigetragen haben, dass er 1913 mit seiner Frau Elisabeth und den beiden Söhnen an den Thunersee nach Oberhofen zog, um sich häuslich einzurichten. In der Nachbarschaft lebte der Schweizer Künstler Louis Moillet, den Macke durch seine Schwiegereltern kennenlernte und dem er sehr verbunden war. Mit ihm und Paul Klee unternahm er im Frühjahr 1914 die berühmte Tunesienreise, welche die Werke aller drei Künstler nachhaltig prägte. Im damals französisch besetzten Tunesien erkannte Macke die unmittelbar drohende Kriegsgefahr im Gespräch mit Offizieren.
Beeindruckende Fülle
Zwei Tage nach der deutschen Kriegserklärung meldete sich Macke im August als Freiwilliger bei seiner Einheit und erlebte die erste Schlacht an der Marne
in der Champagne. Am 11. September wurde er mit einem Eisernen Kreuz ausgezeichnet; am 26. September 1914 starb der Offiziersanwärter bei einem deutschen Angriff auf französische Stellungen in der Nähe von Châlons – nur gerade 27 Jahre alt. Auch wenn er sein Leben für den Staat opferte, verachteten die Nationalsozialisten später seine Kunst, die als «entartet» diffamiert wurde, obwohl sich Wehrmachtsoffiziere für seine Anerkennung einsetzten.
Trotz seines kurzen Lebens – was bleibt, ist viel: Das Œuvre Mackes ist gewaltig. Er schuf in den wenigen Jahren Hunderte von Gemälden und Aquarellen, er zeichnete unermüdlich seine Skizzen. Es scheint unfassbar, was dieser junge Mann alles zustande brachte, in einem Alter, in dem andere noch kaum einmal einen Pinsel in der Hand gehalten hatten.
«Es ist fast zu schön hier» … am Thunersee
August Macke und die Schweiz
Sa, 25.5.–So, 1.9.
Kunstmuseum Thun