Fröhlicher Besuch in einem ma­kabren Disneyland: «Wir entdecken ‹Arbeit macht frei›, das kindlich geschwungene Portal, vor dem eine Klasse posiert, die nächste Gruppe wartet schon auf ihre Fotogelegenheit …» Der Ich-­Erzähler Jean Popper besichtigt mit seiner Familie das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz. Seine Mutter ist eben verstorben, und seine Nichte insistierte auf dieser Reise. Denn die Mutter hatte Angehörige in der Shoa verloren.

In diese Geschichte verpackt die französische Erfolgsautorin Yasmina Reza das literarische Porträt der Titelfigur Serge. Er ist Jeans Bruder und mit fast ­allen in der Familie verkracht: «Er ist das reinste Lümmel-Genie. Kein Mensch kann sich so hinlümmeln wie er.» Kein Wunder, dass einer wie er in Auschwitz schlecht ankommt, was ihn aber gar nicht kümmert. Was ein besinnlicher Besuch im Andenken an die verstorbene Mutter sein sollte, verkommt zum Familienkrach. Mit ab­grün­di­gem Humor schildert Reza die alltäglichen Absurditäten einer klein­-bürgerlichen Pariser Familie, die in ihrer gegenseitigen Abneigung vereint ist, wobei die jüngste Geschichte immer wieder aufbricht. Etwa in der Beschreibung einer Fitnesskur, die Serge aufgibt: «Sechstausend Euro für eine Selleriesuppe! Diese Drecksäcke … Dieser Nazi an der Rezeption!» Der Roman mag nicht nach jedermanns Geschmack sein. Wer aber akzeptiert, dass einem das Lachen beim Lesen vergehen kann, liegt mit diesem Buch genau richtig.     

Buch
Yasmina Reza 
Serge
Aus dem Franz. von Frank Heibert, Hinrich Schmidt-Henkel
206 Seiten (Hanser 2022)