Der Matheprofessor Tony sah noch die «schreckerfüllten Gesichter seiner Frau und seiner Tochter». Verbrecher entführten die beiden im US-amerikanischen Niemandsland. Und der Leser ahnt, dass das Schicksal der Frauen fürchterlich sein wird. Tony vermochte sie nicht zu schützen. Hasenfüssig liess er sich von den Tätern einschüchtern, denn er hatte nie gelernt, sich zu wehren. Eine US-amerikanische Version des Schweizer Biedermanns, wie in Max Frisch in seinem Stück verewigt hat.

Das ist eine Schlüsselepisode im Roman «Tony & Susan» des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Austin Wright. Er hatte das Buch in den frühen 90ern geschrieben und ist vor knapp zehn Jahren verstorben. Seither ist es vergessen gegangen, auch im angelsächsischen Raum. Nun ist es erstmals auf Deutsch erschienen. Und man fragt sich: Wie konnte ein solches Werk im gewinnorientierten Literaturbetrieb untergehen? Es ist spannend, intelligent, und es gibt einen trefflichen Einblick in die amerikanische Mittelstandsgesellschaft.

Wright hat einen Roman im Roman geschrieben. Und hier kommt die im Titel erwähnte Susan ins Spiel. Die in zweiter Ehe verheiratete Frau erhält von ihrem ersten Ex ein Romanmanuskript zugeschickt. Dieses erzählt die traurige Geschichte des verweichlichten Mathematikprofessors Tony und seiner Familie. Und der Leser spürt schnell, dass Susan in dem Buch ihr eigenes Schicksal erkennen soll. Autor Wright hatte damit eine spannende Psycho-Krimi-Handlung im Stil einer Barbara Vine geschrieben, die er raffiniert
in ätzende Gesellschaftskritik verpackt.


[Buch]
Austin Wright
«Tony & Susan»
413 Seiten
(Luchterhand 2012).
[/Buch]