Die Frau hat vor allen andern das moderne Unterhaltungsbusiness begriffen: Die Menschen sonnen sich am liebsten im Glamour Prominenter. Marie Tussaud (1761–1850) setzte diese Erkenntnis unternehmerisch um und modellierte alles, was Rang und Namen hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Wachsfiguren unter ihrem Namen sind bis heute ein touristischer Anziehungspunkt geblieben, nicht nur in London. Das Unterhaltungsunternehmen Tussaud führt heute weltweit Filialen, etwa in Berlin oder Shanghai. 

Der französische Dokumentarfilm «Ein Leben aus Wachs» erzählt den phänomenalen Aufstieg dieser Tochter einer Henkersfamilie in Strassburg, wo sie als Marie Grossholtz zur Welt kam. Die Mutter zog mit dem Kind früh nach Bern um. Dort nahm die beiden Onkel Philippe Curtius in Obhut. Der Arzt führte das kluge Mädchen in die Geheimnisse der Anatomie ein. 

Die fiktionale TV-Dokumentation zeigt zahlreiche zeitgenössische Darstellungen aus der frühen Geschichte des Wachs-Unternehmens; Schlüsselszenen werden nachgespielt. Dabei ist stets ersichtlich, mit welchem Geschick sich Madame Tussaud in jener gefährlichen Zeit durchzusetzen vermochte. Zwar arbeitete sie für den Hof von Louis XVI., war aber auch den Revolutionären zu Diensten und fertigte Kopien guillotinierter Köpfe an, denn die Umstürzler wussten solche Trophäen zu schätzen.

Marie Tussaud entzog sich einer unglücklichen Ehe in Paris, flüchtete nach England, begann dort mit ihrem Geschäft von Neuem, auch wenn sie sich zuerst aus den Fängen eines Scharlatans befreien musste. Nach und nach etablierte sie ihr Wachsfigurenkabinett als ein Unterhaltungslokal, das den Besuchern Gelegenheit bot, sich den wächsernen Prominenten auf Du und Du zu nähern.

Madame Tussaud erscheint in dieser Filmproduktion als eine ebenso zielstrebige wie liebenswürdige Frau, die mit Schlauheit um ihre Stellung in der Gesellschaft kämpfte. So verschwieg sie zeitlebens ihre Herkunft aus der Strassburger Henkersfamilie und verlegte deshalb ihren Geburtsort nach Bern. 

Ein Leben aus Wachs
Regie: Nina Barbier
84 Minuten
Sa, 26.11., 20.15 Arte